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01.Januar 2003: Infektionskrankheiten Meningokokkeninfektionen als pädiatrische Notfälle
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Dr. Claudia Wagner, Kinderärztin im von Hauner'schen Hospital
aus dem Hauner-Journal Heft 5/Juli 2001
Immer wieder kursierten in den letzten Jahren in den Medien erschreckende
Berichte über Meningokokkeninfektionen in Deutschland. Auch wenn
Meningokokkenerkrankungen insgesamt selten sind, sollen deshalb im folgenden die
typischen Symptome, der Verlauf und die Therapiemöglichkeit von
Meningokokkeninfektionen dargelegt werden.
Es sei vorausgeschickt, dass viele harmlose und weit verbreitete
Viruserkrankungen dem Anfangsstadium einer Meningokokkeninfektion ähneln
können und die Diagnosestellung in einem frühen Stadium schwierig sein kann.
Da die frühzeitige antibiotische Therapie jedoch ausschlaggebend für die
Prognose der Erkrankung ist, sollte auch auf diskrete Anzeichen einer
generalisierten bakteriellen Infektion geachtet werden. Das gleichzeitige
Auftreten von hohem Fieber, schwerem Krankheitsgefühl und Hautblutungen (Petechien)
sollte immer als dringender Verdacht auf eine Meningokokkeninfektion gewertet
und entsprechend behandelt werden.
Pathogenese: Auslöser von Meningokokkeninfektion sind gramnegative
Diplokokken (Neisseria meningitidis), die die Rachenschleimhaut zeitweilig
besiedeln können, ohne zu einer invasiven Infektion zu führen.
Von solchen asymptomatischen Trägern wird das Bakterium weiter verbreitet.
Die Übertragung erfolgt dabei von Mensch zu Mensch durch nahen Kontakt, wie er
beispielsweise in der Familie oder im Kindergarten stattfindet. Weshalb einige
Menschen asymptomatische Träger des Bakteriums sind, andere aber schwer
erkranken, ist bis heute nicht genau bekannt.
Aber auch bei erkrankten Personen können Meningokokken verschiedene
Krankheitsverläufe verursachen, nämlich die Meningokokkenmeningitis oder die
Meningokokkensepsis. Seltener treten Meningokokkenmeningitis und -sepsis
gleichzeitig auf.
Meningokokkenmeningitis: Häufig beginnt die Meningokokkenmeningitis wie ein
alltäglicher Virusinfekt mit Fieber, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen. Die
Laborwerte können in dieser Frühphase noch normal sein.
Im weiteren Verlauf kommt es dann jedoch zu hohem Fieber, starken
Kopfschmerzen, Erbrechen, Nahrungsverweigerung und Schläfrigkeit. Größere
Kinder können infolge Nackensteife den Kopf nicht mehr beugen und die Knie
nicht mehr bis zur Brust anziehen. Bei Säuglingen kann die Fontanelle
vorgewölbt sein. Manchmal kommt es zum Auftreten eines Krampfanfalles, der als
Fieberkrampf verkannt werden kann. Im Labor sieht man in dieser Phase meist
ansteigende Entzündungszeichen. Das Fehlen erhöhter Entzündungszeichen
schließt eine Infektion mit Meningokokken jedoch nicht aus.
Die Diagnose Hirnhautentzündung wird durch die Liquorpunktion gesichert, im
Liquor finden sich vermehrt Leukozyten und Eiweiß bei niedrigem Liquorzucker.
Da neben Meningokokken auch andere Erreger, am häufigsten Pneumokokken, eine
Hirnhautentzündung verursachen können, werden ein Gram-Präparat sowie eine
Liquorkultur angelegt, in der nach ein bis drei Tagen der Erreger angezüchtet
und identifiziert werden kann. Gleichzeitig wird die Empfindlichkeit des
Bakteriums gegenüber verschiedenen Antibiotika getestet.
Ergänzend kann der Nachweis von Meningokokkenantigen im Liquor angestrebt
werden. Die Therapie der Meningitis erfolgt sofort nach der Liquorentnahme.
Hierzu wird zunächst Dexamethason und anschließend Cefotaxim gespritzt.
Cefotaxim ist gegen fast alle jenseits der Neugeborenenperiode auftretenden
Erreger der bakteriellen Meningitis wirksam und erreicht ausreichend hohe
Liquorkonzentrationen.
Durch den rechtzeitigen Beginn der antibiotischen Therapie kann in den
meisten Fällen eine Schädigung des kindlichen Gehirns verhindert werden, die
meisten Kinder erholen sich innerhalb von ein bis zwei Wochen vollständig.
Häufigste Komplikationen sind Hörstörungen, Entwicklungsverzögerungen und
cerebrale Krampfanfälle.
Meningokokkensepsis: Genau wie die Meningokokkenmeningitis beginnt auch die
Meningokokkensepsis häufig wie ein banaler Virusinfekt. Im weiteren ist der
Verlauf der Meningokokkensepsis jedoch noch dramatischer als der der
Meningokokkenmeningitis. Es kommt zu sehr hohem Fieber und
charakteristischerweise zu punktförmigen Hautblutungen, den Petechien. Da es im
weiteren Verlauf unbehandelt sehr rasch, manchmal innerhalb von weniger als
einer Stunde, zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommt, ist bereits in diesem
Stadium die sofortige Krankenhauseinweisung, eventuell direkt auf die
Kinderintensivstation, erforderlich.
Bei raschem Therapiebeginn gelingt es dann, durch sofortige Antibiotikagabe
und Kreislaufstabilisierung durch intravenöse Flüssigkeitszufuhr, den
Krankheitsprozess zu stoppen, so dass innerhalb weniger Tage eine komplette
Heilung eintritt. Kann der Krankheitsprozess nicht mehr in diesem Stadium
gestoppt werden, kommt es im weiteren zum Vollbild der gramnegativen Sepsis mit
Kreislaufversagen, Blutdruckabfall, verminderter Durchblutung der Extremitäten,
Gerinnungsstörung mit großflächigen Haut- und Schleimhautblutungen sowie
Nebennierenblutungen (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Infolge des
Kreislaufversagens werden lebenswichtige Organe nicht mehr ausreichend
durchblutet und stellen ihre Funktion ein. Als erstes sind meistens Nieren und
Lunge betroffen, es kommt zum anurischen Nierenversagen und zur Schocklunge.
Durch den Einsatz intensivmedizinischer Verfahren, insbesondere der
künstlichen Beatmung, der Katechol- amintherapie und der Nierenersatztherapie
kann dieses Stadium überlebt werden. Es droht jedoch die Entwicklung eines
irreversiblen Multiorganversagens.
Bei den Überlebenden eines schweren Kreislaufversagens kommt es häufig zu
Hautnekrosen, wobei später transplantiert werden muss, oder sogar zum Verlust
ganzer Extremitäten. Auch neurologische Residuen infolge unzureichender
Sauerstoffversorgung des Gehirnes im Rahmen des Kreislaufversagens sind
möglich.
Prophylaxe (Vorbeugung): Nach Kontakt mit einem Meningokokkeninfizierten müssen
Kontaktpersonen eine Antibiotikaprophylaxe, beispielsweise (wenn keine
Kontraindikationen vorliegen) mit Rifampicin, erhalten, um den Ausbruch der
Infektion zu verhindern. Hierbei sollten alle Kontaktpersonen, unabhängig vom
Alter, prophylaktisch behandelt werden, da sowohl Kinder, als auch Erwachsene an
schweren Meningokokkeninfektionen erkranken können.
Um tatsächlich möglichst alle Kontaktpersonen eines Infizierten ermitteln
zu können, ist jeder Arzt gesetzlich verpflichtet, Meningokokkeninfektionen dem
Gesundheitsamt zu melden. Das Gesundheitsamt hat dann die Aufgabe,
Kontaktpersonen zu ermitteln und eine Antibiotikaprophylaxe zu empfehlen.
Eine Impfung gegen Meningokokken ist zwar in Deutschland möglich, jedoch
schützt das Präparat nicht gegen den in Deutschland am häufigsten
auftretenden Bakterientyp, nämlich Meningokokken Typ B, sondern nur gegen
hauptsächlich in Afrika und Asien verbreitete Typen. Die Impfung wird deshalb
nur bei Reisen in entsprechende Risikogebiete empfohlen. Die Herstellung eines
zuverlässigen Impfstoffes gegen den in Deutschland verbreiteten Typ B ist
bisher nicht gelungen.
Es sei jedoch angemerkt, dass gegen einen anderen gefährlichen Erreger von
Hirnhautentzündungen, nämlich Haemophilus influenzae Typ B (HIB), ein sehr
effektiver Impfstoff zur Verfügung steht.
Ausblick: Seit Jahren ist die Therapie der Meningokokkensepsis Gegenstand
intensiver Forschung. So wurden in den letzten Jahren verschiedene Medikamente
entwickelt und teilweise bereits innerhalb von Studien an Erwachsenen erprobt.
Möglicherweise werden sich hieraus bald auch neue Behandlungsmöglichkeiten
für die kindliche Meningokokkensepsis ergeben. Die größten Hoffnungen ruhen
dabei derzeit auf dem aktivierten Protein C, das in einer kürzlich im New
England Journal of Medicine veröffentlichten Studie bei Erwachsenen einen
signifikant günstigen Einfluss auf den Verlauf von gramnegativen Sepsen hatte.
Erfahrungen an Kindern fehlen derzeit jedoch noch, Bedenken bestehen
hauptsächlich wegen eines möglicherweise erhöhten Risikos für Hirnblutungen
unter dieser Therapie. In jedem Fall wird das rechtzeitige Erkennen von
Meningokokkeninfektion und der sofortige Beginn einer antibiotischen Therapie in
jedem begründeten Verdachtsfall, noch bevor es zu Komplikationen kommt, die
wichtigste therapeutische Maßnahme bleiben.
Autorin: Dr. Claudia Wagner, Kinderärztin im von Hauner'schen Hospital aus dem Hauner-Journal Heft 5/Juli 2001
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